Aufklärung am Beispiel der Polio-Impfung · BGH Urteil vom 15. Februar 2000 · Az. VI ZR 48/99
Jede Krankheit kann zu Komplikationen führen.
Jede Impfung kann zu Nebenwirkungen und zu Komplikationen führen.
Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Arznei-Telegramm 6/1997, S. 57 ) Schadenshäufigkeit von 1: 4,4 Millionen an. Bei Erstimpfungen mit Polio steigt das Risiko: 1: 750.000 Impfdosen.
Maßgebend ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es für den Patienten besonders belastet sein kann. Grundsätzlich ist auch über äußerst seltene Risiken aufzuklären. Das gilt auch für öffentlich empfohlene Impfungen, bei denen die Grundimmunisierung der Gesamtbevölkerung zur Verhinderung einer epidemischen Verbreitung der Krankheit im öffentlichen Interesse liegt. In Fällen öffentlicher Impfempfehlung hat zwar durch die Gesundheitsbehörden eine Abwägung zwischen den Risiken der Impfung für den einzelnen und seine Umgebung auf der einen und den der Allgemeinheit und dem einzelnen drohenden Gefahren im Falle der Nichtimpfung auf der anderen Seite bereits stattgefunden.
Das ändert aber nichts daran, daß die Impfung gleichwohl freiwillig ist und sich der Patient auch dagegen entscheiden kann. Dieser muß sich daher nicht nur über die Freiwilligkeit der Impfung im Klaren sein. Er muß auch eine Entscheidung darüber treffen, ob er die mit der Impfung verbundenen Gefahren auf sich nehmen soll oder nicht. Das setzt die Kenntnis dieser Gefahren, auch wenn sie äußert selten sind voraus; diese Risiken müssen ihm daher durch ärztliche Aufklärung vermittelt werden.
Anerkannte Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland 1990–1999, Bundesgesundheitsblatt 4/2002
In der Öffentlichkeit werden insbesondere Komplikationen nach Verwendung von Masern-Mumps-Rötelnimpfstoff (MMR-Impfstoff) diskutiert. Nur 3% (sieben Fälle) der von sechs Bundesländern gemeldeten Komplikationen betreffen diese Impfung. Ausgehend von einer vorsichtigen Schätzung und bei einer angenommen Durchimpfungsrate für die erste Masern-Mumps-Rötelnimpfung von 75 bis 80%, sind in diesen Bundesländern 1,7 bis 1,9 Millionen Dosen Impfstoff im Jahr verimpft worden [23]. Dies entspräche einer maximalen Rate von sieben Komplikationen/16 Millionen Impfstoffdosen.Die berichteten Gesundheitsstörungen dieser sieben Kinder betreffen: eine vollständig ausgeheilte Meningitis, einmal Impfmasern, einen unklaren fortschreitenden Hirnabbauprozess, eine spastische Diplegie und eine Halbseitenlähmung mit Gangstörung (zwei ohne nähere Angaben). Bundesgesundheitsblatt -Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 45, 4 (2002): 323–331 © Springer-Verlag 2002